LE 2 | Grundlagen Digitalisierung und Digitalität

Woher kommen die Begriffe post-digitale Gesellschaft und digitale Transformation? Und wie können Kulturinstitutionen hier ansetzen für eine relevante und zeitgemäße Kulturarbeit?

Digitale Transformation | Historische Entwicklung

(vereinfachte Darstellung, Jahresangaben sind gerundet)
Digitale Transformation – Historische Entwicklung | Podcast
Alle Quellenangaben aus den Podcasts befinden sich in der Literaturliste am Ende des Basismoduls.

Diggin‘ Deeper – Und die Daten? Folge I

Diggin‘ Deeper I 

// Daten nutzen in der Kultur der Digitalität

Felix Stalder identifiziert bzgl. der Verschmelzung der Rollen von Rezeption und Produktion im Massenmedium Internet drei charakteristische Eigenschaften der digitalen Technologien: „Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität“ (Stalder, 2016, S. 95).

Algorithmizität beschreibt die technologische Vorsortierung der immensen Datenmenge für eine Strukturierung und Anpassung an Nutzer:innenprofile (vgl. Stalder, 2016, S. 164–166).

Referentialität bedeutet, vorhandenes Material durch Herstellung eines Bezugs zur eigenen Lebenswelt zu nutzen, um (individuelle) Bedeutung zu generieren. 

„Zentral ist dabei das Aufbrechen der strikten Trennung von Produzent_in und Nutzer_in. Der Terminus ‚Referentialität’ bezieht sich darauf, dass Werke und Werkfragmente keine exklusiven Güter mehr sind, sondern zirkulieren und immer wieder neu kombiniert, transformiert und kontextualisiert werden“ (Wolf, 2017, S. 293).

Gemeinschaftlichkeit bezieht sich auf die interaktive und hierarchiearme Ausrichtung von kulturellen Praktiken. Entgegen der gesellschaftlichen Individualisierung besteht ein menschliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit und community vor allem innerhalb des Internets: „Speziell […] das gemeinschaftliche Erstellen, Bewahren und Verändern des interpretativen Rahmens, in dem Handlungen […] und Objekte eine feste Bedeutung und Verbindlichkeit erlangen […] macht die zentrale Rolle der gemeinschaftlichen Formationen aus“ (Stalder, 2016, S. 136f.).

Felix Stalder beschreibt die Kultur der Digitalität daher unter anderem als die Vervielfältigung kultureller Möglichkeiten (vgl. Stalder, 2016, S. 10).

Die Partizipationsexpertin Nina Simon vergleicht einen zeitgemäßen Teilhabebegriff im Kontext kultureller Arbeit unter anderem sogar mit den Möglichkeiten und Verhaltensmustern in den digitalen und sozialen Netzwerken: 

„[…] Inhalte konsumieren, kommentieren, gliedern und bewerten, neu zusammenstellen und anderen Konsumenten zugänglich machen“ (Simon, 2012, S. 99).

Digitale Anwendungen ermöglichen zunehmend nicht nur im Gaming-Bereich, sondern auch in multimedialen oder virtuellen Räumen vernetzte und interaktive Erlebnisse. Der Literaturwissenschaftler Simon Sahner betrachtet daher: „[d]igitale Kultur als kulturelle[n] Gegenwartsraum“ (Sahner, 2021).

Diese Werkzeuge und Anwendungen gilt es immer wieder auf Aktualität, Nützlichkeit, Nachhaltigkeit und Ethik zu prüfen und anzupassen.


Diggin‘ Deeper II

// Wo ist Kritik angebracht?

Technologie ist menschengemacht und trägt daher neben positiven Innovationen und den Errungenschaften demokratischer Austauschprozesse auch die Einschreibungen menschlicher Vorurteile in sich, den sogenannten bias. So lernt die Künstliche Intelligenz (KI) mit Daten, die von Menschen generiert bzw. programmiert wurden und daher mit strukturellem Diskriminierungswissen durchzogen sind. 

Nicht ausreichend differenzierter Input für die lernenden Maschinen führte zunächst u.a. bei der Online Bildersuche auf mehreren Plattformen zur Zuordnung der Beschreibung „Gorilla“ zu Personen mit schwarzer Hautfarbe und reproduzierte damit ein historisch rassistisches Stereotyp (vgl. Kühl, 2015). 

Algorithmen sind keine objektiven mathematischen Konstrukte, sondern verbreiten Vorurteile, dominante Erzählungen und Machtstrukturen u.a. auch im Dienst wirtschaftlicher Interessen (vgl. Noble, 2018; Niederberger, 2019).

Das Geschäftsmodell von Google z.B. verknüpft seine Werbeeinnahmen mit der Generierung von Klickzahlen, nicht mit der Qualität der jeweiligen Medieninhalte. Auch die Vervollständigung der Suchanfragen basiert auf diesem Modell. Daraus entwickelt sich eine verstärkende Dynamik: Besonders reißerische, stark vereinfachende oder eben auch vorurteilsvolle, diskriminierende, sexistische und rassistische Schlagworte erlangen somit oftmals eine hohe mediale Sichtbarkeit (vgl. Noble, 2018).

Wer am digitalen Leben teilnehmen möchte, kann der Marktdominanz von Facebook und Google kaum entkommen: „Suchmaschinen stellen inzwischen so etwas wie quasi-öffentliche Infrastrukturen dar, die aber komplett in privater Hand liegen. Sie sind keiner demokratischen Kontrolle unterstellt“ (Niederberger, 2019).

Privatwirtschaftliche Anbieter:innen handeln bekanntermaßen mit Daten aller User:innen, die ihre Services nutzen. Diese Informationen werden dabei nicht nur wie vorgegeben zu personalisierten Werbeangeboten genutzt, sondern sie sind in der Lage, sehr intime Details in Profile zu verwandeln und Prognosen über individuelle Verhaltensweisen zu treffen (vgl. Al Ghussain, 2022; Kulturstiftung des Bundes, 2021).

Ohne Mitsprache der Nutzer:innen und ohne demokratische Kontrolle entsteht somit eine Asymmetrie von Transparenz: „Wissen über unser online und offline Leben wird […] auf einem riesigen Datenmarkt gehandelt, dessen Akteure und deren Methoden und Ziele uns weitgehend unbekannt sind. Wir wissen also nicht, wer genau was über uns weiss.“ (Niederberger, 2019)

Die originäre Vision des World-Wide-Web-Erfinders Tim Berners-Lee ist damit in weite Ferne gerückt: Das freie Teilen von Wissen wird durch Filterblasen, gezielt eingesetzte Täuschung mittels Fake News oder das privatwirtschaftliche Sammeln von personenbezogenen Daten unterlaufen; ein toleranter Austausch findet selten in den von Hasskommentaren geprägten Kommentarspalten statt; die Einflussnahme auf politische Meinungsbildungsprozesse durch die zuvor beschriebenen Phänomene steht konträr zur ursprünglich gewünschten moralischen Verantwortung auf Seiten der Entwickler:innen (vgl. Pöllmann & Herrmann, 2019, S. 7).

Und auch Felix Stalder konstatiert, dass nur eine gesellschaftliche Einmischung in den Diskurs um Datenhoheit noch einen Handlungsfreiraum ermöglicht:

„Unser Handeln bestimmt, ob wir in einer post-demokratischen Welt der Überwachung und der Wissensmonopole oder in einer Kultur der Commons und Partizipation leben werden“ (Stalder, 2016, S. 2).


Diggin‘ Deeper III

// Wie können Kulturinstitutionen hier ansetzen? 

Durch die Digitalisierung von Kulturgütern und infolgedessen der Verfügbarmachung zur gemeinfreien Nutzung wird nicht nur eine digitale Sichtbarkeit der Bestände für (Fach-)Publikum gewährleistet, sondern auch der Verantwortung in zeitgemäßer Form Rechnung getragen, kulturelle Teilhabe für unterschiedliche Publika zu ermöglichen (vgl. Euler, 2019).

Mittels offener Objektdatenbanken können Interpretationsräume für Wissenschaft und Forschung sowie für interessierte Laien erweitert werden. Die Objektdaten kommen somit auch der Öffentlichkeit zugute, die über ihre Nutzung mitbestimmt.

Wie sich hierdurch auch die Ansätze für Vermittlung innovativ verändern können, zeigen eindrucksvoll die Projekte, die im Rahmen des Kultur-Hackathons „Coding da Vinci“ entwickelt wurden.

» codingdavinci.de

Die Gesellschaft und ihre Bedarfe verändern sich stetig und treiben dadurch auch die technischen Entwicklungen immer weiter voran. Es bleibt mit Spannung zu erwarten, ob sich der Einsatz von Virtual Reality bzw. Augmented oder Mixed Reality in der Kulturarbeit als digitaler Erfahrungsraum durchsetzen wird, welche ethischen Richtlinien in Bezug auf maschinelles Lernens erarbeitet werden, wie wir mit den bereits bestehenden Datenmonopolen in privatwirtschaftlicher Hand umgehen, welche weiteren technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen werden und wie der virtuelle Raum in Zukunft genutzt wird.

Auffallend sind die immer kürzer werdenden Zeiträume, in denen Visionen real werden und die Menschen – aber auch Institutionen – vor die Herausforderung stellen, sich an die neuen digitalen Strukturen und Möglichkeiten anzupassen.

„Waren die Alphabetisierungskampagnen im 19. Jahrhundert eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Etablierung einer funktional differenzierten Moderne, so brauchen wir heute eine vergleichbar große Anstrengung für eine breite Digital Literacy […] für das Gelingen einer digitalen Gesellschaft. Am Ende wird uns der Wandel aber nur dann gelingen, wenn wir […] den Wandel auch ermöglichen. Wir kommen aus der Zeitgenossenschaft des Wandels nicht raus – sondern wir sind aufgefordert zu gestalten. Dafür müssen wir uns gegen die Widerstände der alten Moderne stellen, die Hindernisse aktiv aus dem Weg räumen und den Mut haben, endlich zu beginnen“ (Simon, 2022, S. 27).


Handlungsaufforderung

Forsche und Sammle

Widme dich nun noch einmal den Begriffsdimensionen zur Ergänzung und Vertiefung der zu Beginn notierten Gedanken. Recherchiere in der ​Publikation „Digitalität – Kultur in Bewegung“ (Landschaftsverband Westfalen-Lippe & Kulturpolitische Gesellschaft e.V., 2022) verschiedene Definitionen der Begriffe:

  • Digitalität
  • Digitalisierung

Lege eine für dich passende Materialsammlung in deinem (digitalen) Notizheft an.

» Hier findest du die Publikation


Tipp

Das KuLO-Glossar

Wirf auch einen Blick in das KuLO-Glossar. Hier findest du die Begriffe kompakt erläutert und Definitionen, wie sie bei KuLO verwendet werden.

» Zum Glossar