LE 2 | Methodenkoffer

Um mit der (Nicht-)Besuchendenforschung zu beginnen, ist es zunächst notwendig, eine grundlegende Bereitschaft zur Veränderung zu haben und den Mut aufzubringen, die eigene Arbeit im Rahmen der Forschung kritisch zu betrachten. Es könnte erforderlich sein, etablierte Arbeitsweisen zu überdenken oder gar vollständig über Bord zu werfen. Darüber hinaus kann es durchaus zeitintensiv sein, dein Publikum und deine Nicht-Besuchenden wirklich kennenzulernen.

Aber all das lohnt sich! Denn eine offene Haltung und ein Verständnis für Bedarfe, Erwartungen und Wünsche erleichtert die Beziehungsarbeit auf vielen Ebenen und öffnet die Tür zu einem erfolgreichen Audience Development.


Welche Methoden gibt es?

Grundsätzlich unterscheidet die (Nicht)-Besuchendenforschung zwischen quantitativen und qualitativen Methoden, um Informationen über das Verhalten, die Präferenzen und die Meinungen des (potenziellen) Publikums zu sammeln. Der zentrale Unterschied zwischen ihnen liegt in der Art der Befragung, der Anzahl der Befragten und der Art der gewonnenen Daten.

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Quantitative Methoden basieren auf der Erfassung einer Vielzahl numerischer Daten und deren statistischer Auswertung. Sie ermöglichen es, objektive, generalisierbare und vergleichbare Aussagen über die Befragten zu treffen. Quantitative Forschung wird oft mithilfe strukturierter Fragebögen oder standardisierter Messinstrumente durchgeführt. Typische quantitative Methoden in der (Nicht-)Besuchendenforschung sind Umfragen mit geschlossenen Fragen oder Zählungen. Diese Methoden liefern Informationen über demografische Merkmale, Häufigkeiten, Durchschnittswerte oder auch Zusammenhänge zwischen den abgefragten Variablen. Spezielle Auswertungsprogramme (z.B. Excel oder SPSS) verarbeiten die gesammelten Daten und bereiten diese auf. Für die Analyse sind meist umfassende Kenntnisse quantitativer Auswertungsverfahren notwendig. 

Im Unterschied zu quantitativen Methoden mit verallgemeinernder Aussagekraft konzentrieren sich qualitative Methoden auf die Erfassung und Interpretation von nicht-numerischen Daten, um ein tiefergehendes Verständnis für die Perspektiven und Erfahrungen des Untersuchungsfelds zu gewinnen. Sie basieren auf Einzelfällen und erfassen subjektive Eindrücke, Meinungen sowie individuelle Handlungsweisen und Motivationen. Typische qualitative Methoden in der (Nicht-)Besuchendenforschung sind beispielsweise teilnehmende Beobachtungen, persönliche (leitfadengestützte) Interviews, Gruppendiskussionen oder Fokusgruppengespräche. Aufgezeichnete Interviews und Gespräche können bei Bedarf mit einer Software (z.B. R) transkribiert, mit einem Auswertungssystem (z.B. MAXQDA) kodiert und unter inhaltlichen Gesichtspunkten analysiert werden. Bei kleineren Befragungen können jedoch auch Notizen ausreichen, um gewonnene Informationen festzuhalten und anschließend mit Kolleg:innen darüber zu sprechen.


Mit welchen Methoden beforschst du was oder wen?

Beide Ansätze – der quantitative und der qualitative – finden sowohl Anwendung in der Besuchenden- als auch in der Nicht-Besuchendenforschung. 

Im Folgenden werden verschiedene Methoden vorgestellt und dabei in einem Fallbeispiel exemplarisch kombiniert. So wird veranschaulicht, in welchem Kontext welche Methode sinnvoll sein kann. Jede Methode wird zudem in einem Leitfaden kompakt zusammengefasst und mitunter durch ein konkretes Beispiel ergänzt. Es entsteht ein Methodenkoffer, aus dem du flexibel wählen kannst, um die unterschiedlichen Verfahren je nach Bedarf einzusetzen – auch einzeln oder auf ganz andere Weise. 


Fallbeispiel: Nehmen wir an…

Eine Kulturinstitution plant, sich weiter zu öffnen und ihr Kulturprogramm zu verändern, um bislang unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen anzusprechen und mit ihnen in Dialog zu treten. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf der Förderung kultureller Teilhabe von Kindern und Jugendlichen liegen. Die Institution verfügt bereits über eine gewisse Kenntnis ihres Stammpublikums, da sie seit zwei Jahren regelmäßig kleinere (quantitative) Umfragen mittels Fragebogen im eigenen Haus durchführt. Auch eine Besuchendenstatistik wird über die Anzahl der verkauften Tickets erfasst. So hat das Haus einen Überblick über seine Besuchszahlen, seine Publikumsstruktur und auch erste Einblicke in Besuchsmotivation und Bedarfe.

Eine Umfrage mit einem standardisierten Fragebogen könnte so aufgebaut sein (oder auch nur einzelne Teile davon beinhalten):

Einen Leitfaden zum Erstellen einer Besuchendenstatistik findest du hier: 

Die Kulturinstitution möchte nun aber auch Feedback von bisherigen Nicht-Besuchenden. Kennen die Bewohner:innen der Stadt die Institution überhaupt? Wie denken sie über sie? Wissen sie, welche Programme angeboten werden? 

Für ein erstes Stimmungsbild (qualitativ und quantitativ) nutzt das Team der Institution eine schnell umsetzbare Erhebungsmethode. Mit zwei mobilen Stellwänden und darauf angebrachten Fragen begeben sie sich auf öffentliche Plätze unweit der Institution. Sie kommen mit Menschen ins Gespräch und gewinnen wertvolle erste Anhaltspunkte über verschiedene Bedarfe in der Stadtgesellschaft.  

Den Leitfaden zum Erstellen einer Stimmungsbild-Stellwand inklusive eines Beispiels findest du hier:

Im nächsten Schritt möchte die Kulturinstitution die gewonnenen Informationen vertiefen. Zu diesem Zweck lädt sie zu einem (qualitativen) Fokusgruppengespräch ein. Ziel ist es, mit Repräsentant:innen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zu sprechen und deren Meinungen zur Kulturinstitution, ihrem Bildungsauftrag sowie ihrem Programm einzuholen. Auf der Liste der potenziellen Gäste stehen: Vorstände ortsansässiger migrantischer Kulturvereine, Sport- und Musikvereine, Geschäftsführer:innen sozialer und karitativer Verbände (z.B. Lebenshilfe, Diakonie, AWO, Behindertenverbände), kommunale Vertreter:innen der Stadt (Diversitätsbeauftragte, Beauftragte für Soziales) sowie Vertreter:innen aus der Jugendhilfe und dem Jugendgemeinderat.

Die Methode Fokusgruppengespräch findest du zusammengefasst hier:

Die Kulturinstitution hat nun eine Vielzahl von Meinungen und Perspektiven gesammelt. Einige Aspekte und Anregungen waren besonders interessant und sollen nun in einer Reihe von Einzelinterviews aufgegriffen und eingehender betrachtet werden. Um die Interviews zu einem späteren Zeitpunkt gut miteinander vergleichen zu können, eignet sich die Methode des leitfadengestützten Interviews. 

Was ein leitfadengestütztes Interview ausmacht, wie du es vorbereitest und wie du es führst, findest du hier:

Während der Einzelinterviews wurde klar ersichtlich, dass die Mehrheit der interviewten Personen ein starkes Interesse an der Förderung der kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen hat. Dieses Interesse teilt die Institution, möchte es weiter verfolgen und daher nun im nächsten Schritt direkt mit Jugendlichen in Austausch kommen. Für welche Themen interessieren sie sich? Wie gestalten sie ihre Freizeit? Wie nehmen sie die Kulturinstitution wahr? Gibt es etwas, was sie sich von der Kulturinstitution wünschen?

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, organisiert die Institution eine Gruppendiskussion mit Jugendlichen von 14–16 Jahren. Hierzu nimmt sie Kontakt zum ortsansässigen Jugendzentrum, dem Jugendgemeinderat und der örtlichen Schülervertretung auf, wobei Schlüsselpersonen wie Sozialarbeiter:innen oder Schulpersonal die „Türe ins Feld“ öffnen können. 

Die Methode Gruppendiskussion findest du hier zusammengefasst:

Nach dieser Reihe von aufeinander aufbauenden Erhebungen und Gesprächen hat die Kulturinstitution zahlreiche Erkenntnisse über Bedürfnisse gewonnen sowie Barrieren, Empfehlungen und Möglichkeiten zur Förderung von kultureller Vielfalt und Teilhabe identifiziert. Darauf kann sie nun aufbauen, ihr Wissen interpretieren und im nächsten Schritt des Prozesses konkrete Handlungsempfehlungen und Maßnahmen ableiten. Sie hat jederzeit die Möglichkeit, erneut auf Methoden der (Nicht-)Besuchendenforschung zurückzugreifen, um den Dialog mit Personengruppen aufrechtzuerhalten oder tiefer in spezifische Themen einzusteigen.


Das Fallbeispiel hat gezeigt, dass die Wahl einzelner Forschungsmethoden sowie ihre Kombination immer vom Kontext und dem spezifischen Forschungsziel abhängig sind. Zudem sind die Faktoren Zeit und verfügbare Ressourcen   mitzubedenken. Kurz: Welches Wissen soll aus welchem Grund erzeugt werden? Wie schnell soll dieses Wissen gewonnen werden? Und wer kann die Forschung mit welcher Methodenkompetenz durchführen? 

Kleinere qualitative Untersuchungen wie etwa Fokusgruppen- und Gruppengespräche oder auch ein Stimmungsbild im öffentlichen Raum liefern wichtige Impulse und öffnen den Weg für neue Perspektiven. Möchte eine Institution eine repräsentative Besuchenden- oder Nicht-Besuchendenbefragung starten, ist es zumeist sinnvoll, externe Unterstützung durch eine Agentur oder auch eine Hochschule als Kooperationspartner:in in Anspruch zu nehmen.


Tipp

Vertiefen

Wenn du noch tiefer in das Thema Methoden der (Nicht-)Besuchendenforschung einsteigen möchtest, wirf einen Blick auf den Leitfaden „Besucherforschung und Evaluation im Kulturbereich“ von Dr. Nora Wegner. Er kann gegen einen Kostenbeitrag auf der Website von Kulturmanagement Network heruntergeladen werden.

» Leitfaden: Besucherforschung und Evaluation im Kulturbereich