LE 2 | Wertentwicklung

Wie lassen sich Werte für eine Kultureinrichtung entwickeln und stärken?

Das Werte- und Entwicklungsquadrat des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun ist ein hilfreiches Werkzeug, um Werte in ihrer Bedeutung zu schärfen, sie differenziert zu betrachten und so auch vermeintlich gegensätzliche Werte mit in den Blick zu nehmen. Vor allen Dingen hilft das Quadrat dabei, Werte-Diskussionen zu eröffnen und zu strukturieren, um daraus Maßnahmen für eine gemeinsam getragene Einrichtungskultur zu entwickeln.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun

Der Ausgangspunkt des Werte- und Entwicklungsquadrates lautet: Jeder Wert – das heißt jede Tugend, jedes Leitprinzip, jede menschliche Qualität – kann nur dann seine volle konstruktive Wirkung entfalten, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, dem sogenannten „Schwesternwert“ befindet. Die Balance von Wert und Schwesternwert verhindert, dass ein Wert übertrieben gelebt wird und somit zu einem negativen Gegenpol – einem „Unwert“ – verkommt.


Folgendes Beispiel zeigt, wie das Werte- und Entwicklungsquadrat aufgebaut ist und funktioniert

Der Wert Sparsamkeit steht dem Schwesternwert Großzügigkeit gegenüber. Beide Werte bilden ein positives Spannungsverhältnis, auch wenn sie zunächst gegensätzlich erscheinen.

Werte können aber auch negativ übertrieben werden. So ist die negative Übertreibung von Sparsamkeit der Geiz. Geiz wiederum ins Positive gewendet bedeutet Großzügigkeit. Die negative Übertreibung von Großzügigkeit wäre Verschwendung. 

Geiz und Verschwendung sind diametral-negative Gegensätze. Die Verschwendung ist das rote Tuch der Sparsamkeit.


Handlungsaufforderung

Dein Wert – dein Wertequadrat

Jetzt bist du dran. Erstelle ein bis zwei Wertequadrate zu Werten, die du innerhalb deiner Institution zukünftig stärken möchtest. Mit Werten sind hier nicht nur klassische Tugenden gemeint, sondern auch erstrebenswerte Konzepte, auf die ihr Wert legen wollt, etwa Teilhabe, Diversität, Inklusion, Barrierefreiheit, Kulturelle Bildung oder auch die zuvor beschriebenen Handlungsweisen Outreach, Community Building und Partizipation. Auch sie können im Sinne des Wertequadrats von einer Kultureinrichtung übertrieben ausgelebt und positiv gewendet werden.

Schritt 1:
Suche zu deinem Wert (Wert A) zunächst die negative Übertreibung (Unwert A).

Schritt 2:
Finde zu Unwert A das positive Gegenstück. Dieser Wert B ist der Schwesternwert zu A. 

Schritt 3:
Wird der Wert B nun negativ übertrieben, erhalten wir den Unwert B. Er ist im Spannungsfeld der Werte das rote Tuch zu Wert A. 

Schritt 4:
Schau dir die Werte und Unwerte in dem nun entstandenen Wertequadrat genau an. Überlege, welche Werte bzw. Unwerte du zukünftig in deiner eigenen Arbeit noch stärker berücksichtigen oder eher vermeiden möchtest. 


Weitere Beispiele zum Verständnis

Wertequadrate zu erstellen und dabei treffende Begriffe zu finden, ist nicht leicht. Und es gibt nicht die eine Lösung. Im Folgenden findet ihr nochmal zwei Beispiele zu den Begriffen „Diversität“ und „Community Building“.

Wertequadrat Beispiel: Diversität

Wenn der Wert Diversität übertrieben wird, also wenn immer mehr Personen Vielfältigkeitsmerkmale anführen, aufgrund derer sie augenscheinlich benachteiligt werden, bzw. sich auf Benachteiligungen durch diese Merkmale berufen, kommen wir irgendwann zu einem egoistischen Individualismus. Die negative Übertreibung von Diversität wäre also egoistischer Individualismus. 

Versucht man nun, diese negative Übertreibung erneut positiv zu wenden, könnte man den Wert des gemeinschaftsorientierten Pluralismus fokussieren. 

Diversität und gemeinschaftsorientierter Pluralismus können als komplementäre Schwesternwerte verstanden werden. Beide erscheinen wünschenswert. 

Übertreibt man den Wert gemeinschaftsorientierter Pluralismus nun ins Negative, wäre das eine Form der Gleichmacherei. 

Gleichmacherei und egoistischer Individualismus stellen nun diametrale Negativwerte dar.

Und Gleichmacherei ist zuletzt das rote Tuch von Diversität. 

Wertequadrat Beispiel: Community-Building

Deine Institution möchte stärker Communities euer Stadtgesellschaft in den Blick nehmen und Community-Building stärken. Wird Community-Building übertrieben und ins Negative gesteigert, würdet ihr also nur noch mit Communities kooperieren, nur noch auf Gemeinschaft aus sein und eure eigenen Inhalte vernachlässigen. Als Folge würdet ihr womöglich einen Profilverlust erleiden. 

Nimmt man nun den negativen Wert Profilverlust und versucht ihn positiv zu wenden, käme man zu Profilierung oder Profilstärkung. Profilstärkung und Community-Building sind somit komplementäre, also gegensätzliche (aber immer noch positive) Schwesternwerte. Die negative Übertreibung von Profilstärkung wäre Profilierungssucht. 

Community-Building bewegt sich also zwischen dem positiven Schwesternwert der Profilstärkung und seiner negativen Übertreibung Profilverlust. Das rote Tuch von Community-Building wäre die Profilierungssucht.


Tipp

Tausche dich aus!

Es ist knifflig! Aber es lohnt sich, die Spannungsverhältnisse von Werten individuell herauszufinden und mit den Wertvorstellungen der eigenen Einrichtung abzugleichen. Zeige deine Wertequadrate einer Kollegin/einem Kollegen. Hätte sie/er es genauso gemacht?