LE 1 | Digitales vs. analoges Publikum?

Im Kontext Publikum taucht häufig die Frage auf, wie sich digitale Besucher:innen von analogen Besucher:innen unterscheiden.

Auch hier gilt es nicht starr zu trennen, sondern die Fragerichtung zu verändern: Wie verhält sich das digitale Publikum im Vergleich zum analogen?

Denn digitales und analoges Kulturpublikum unterscheiden sich gar nicht so stark, wie man vermuten könnte. Grundsätzlich gibt es Personen mit Interesse an Kulturangeboten. Dieses Publikum ist zunehmend sowohl im analogen als auch im digitalen Raum unterwegs (vgl. Allmanritter & Tewes-Schünzel, 2022; Bangali & Borkmann, 2021).

Deshalb ist es z.B. nicht zielführend, anzunehmen, durch einen Instagram-Kanal plötzlich junge Nicht-Besucher:innen zu erreichen und diese dann umgehend in der analogen Einrichtung wiederzufinden. So funktioniert es leider selten (vgl. Henze, 2021). 

Die kulturinteressierten, digital-analogen Besucher:innen bringen aufgrund der Selbstverständlichkeit digitaler Systeme im Alltag nun auch eine andere Erwartungshaltung in Bezug auf Kulturangebote mit. Lebensrealitäten mit ständig verfügbaren Suchmaschinen-, App-, Streaming- und Netzwerk-Anwendungen, Remote Work, also berufliche Tätigkeiten ohne festgelegten physischen Arbeitsort, gefolgt vom Wunsch nach stärkerer Partizipation, Inklusion und personalisierten Informationen und Angeboten beeinflussen auch die Ansprüche an Kunst und Kultur.

Möglichkeitsräume kennen und nutzen

In Bezug auf das Verhalten des Publikums im digitalen Raum gibt es folglich einige Besonderheiten:

// Orts- und Zeitunabhängigkeit

  • Das digitale Publikum ist nicht an geografische Orte gebunden, Interessierte können von überall teilnehmen, wo sie Internetzugang haben. Grundsätzlich ist es dadurch möglich, im digitalen Raum eine größere Anzahl an Personen mit Angeboten zu erreichen.
  • Digitale Angebote sind nicht an Öffnungszeiten gebunden und ermöglichen eine Erreichbarkeit 24/7. Dieser Punkt erfordert ggf. auch die Berücksichtigung neuer Arbeitszeitmodelle, wenn man z.B. an die Social-Media-Kommunikation denkt.
  • Individuelle Anpassungen werden möglich: Während (Live-)Streams können Interessierte kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, und nebenher die Wäsche machen oder essen. Lautstärke und Pausen können individuell angepasst werden, bei Aufzeichnungen ist das Überspringen oder Wiederholen von Passagen möglich.

// Teilhabe und Partizipation

  • Mittels User Generated Content & Co-Creation: Durch niedrigschwellige, technische Anwendungen im Digitalen wird die aktive Teilnahme und das Teilen von eigenen Inhalten neue Kulturtechnik. Wie können Kulturinstitutionen diese Formen der Gestaltung und Interaktivität gewinnbringend einbinden?

Im Projekt „Stadtlabor Digital“ des Historischen Museums Frankfurt können Nutzer:innen selbstproduzierte Beiträge über Frankfurt in eine interaktive Karte hochladen, teilen und zu einer ständig wachsenden, kollaborativen digitalen Audio-/Video-/Bild-/Text-Sammlung von ortsspezifischem Wissen beitragen (vgl. Historisches Museum Frankfurt, o.D.).

Im Projekt „nextmuseum.io“ vom NRW-Forum/Kunstpalast Düsseldorf und dem Museum Ulm werden mithilfe einer digitalen Plattform und eines dynamischen Community-Schwarms aus Kulturakteur:innen, Technologie-Expert:innen und Interessierten Experimente und (virtuelle) Ausstellungen diskutiert, kuratiert und somit von User:innen mitgestaltet (vgl. NRW-Forum Düsseldorf & Museum Ulm, o.D.).

  • Eine weitere Form der Teilhabe aus dem ehrenamtlichen Bereich befindet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft: Interessierte beteiligen sich an den Arbeitsprozessen der Kulturinstitutionen, z.B. dem unterstützenden Sammeln und Dokumentieren im Bereich Citizen Science.

// Vernetzung und Nachhaltigkeit

  • Digitale Netzwerke erschaffen sichtbare Communities, die auf unkomplizierte Weise miteinander in Austausch treten können. Digitale Netzwerke folgen oft einer anderen Dynamik als analoge und können gleichzeitig eine größere Gruppe an Menschen einbinden. Durch vorsortierte Inhalte, die Algorithmen auswählen, besteht die Gefahr der sog. Blasenbildung – dieses Potenzial kann aber auch nutzbar gemacht werden, um Communities aufzubauen und Nutzer:innen langfristig an die Institutionen zu binden.
  • Zugang statt Besitz: Ein digitales Programmheft anstelle einer Printversion ist meist kostenlos für Nutzer:innen. Es schont Ressourcen, weil es nicht vorab in einer bestimmten Stückzahl auf Papier gedruckt wurde und nur gezielt angesehen oder heruntergeladen wird. Gleichzeitig nimmt es vor, während und nach der Vorstellung wenig Raum ein und kann bei Bedarf auch wieder geschlossen bzw. gelöscht werden.

Was will (d)ein digitales Publikum?

Anke von Heyl und Sabine Jäger haben es zu Beginn dieses Moduls schon angemerkt: Es geht vor allem darum, die Bedarfe des Publikums im digitalen Raum zu erkennen und diese Erkenntnisse für die Angebotsentwicklung zu nutzen.

Denn die Bedarfe stehen mit den digitalen Bedingungen in einem wechselseitigen Verhältnis: Es geht dabei weniger um die Technologien selbst, sondern um Kontexte und Funktionen, die Nutzer:innen einen Mehrwert bieten.

// Besuchserleichternde Gründe

Hier kann nochmal ein Blick auf ganz konkrete Bedarfe hilfreich sein:

  • Wer profitiert von digitalen Angeboten und für wen sind sie unverzichtbar, um an Kunst und Kultur teilhaben zu können? 

Personen, die aufgrund einer mobilen oder körperlichen Einschränkung nicht vor Ort sein können, ermöglicht z.B. das Van Abbemuseum in Eindhoven innerhalb seines Inklusionsprogramms eine Roboterführung. Mithilfe eines internetfähigen Endgeräts, das über eine Webcam und ein Mikrofon verfügt, kann die Maschine gesteuert und Bilder aus dem Museum in Echtzeit wie bei einem Video-Anruf an den Aufenthaltsort der Teilnehmenden übertragen werden (vgl. Van Abbemuseum, o.D.). In Deutschland bietet das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig im Rahmen des Zukunftsprogramms REINVENTING GRASSI.SKD einen ähnlichen Service an. Hier stehen mehrere Telepräsenzroboter für den digitalen Besuch zur Verfügung (vgl. GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, o. D.).

  • Welche Formen der Ansprache kannst du nutzen? Welches Vokabular verwendet deine Institution z.B. für Newsletter, Internetseite oder Social Media? Werden Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt? Ist die Vorlesefunktion und -Steuerung deiner Website für seh-eingeschränkte Menschen optimiert? Gibt es darüber hinaus für diese Zielgruppen digitale Angebote?
  • Mitdenken von sozioökonomischen Unterschieden: Wer verfügt privat über welche technische Ausstattung? Haben viele Besucher:innen deiner Institution oder nur die Zielgruppe eines bestimmten Angebots VR-Brillen zuhause? Stehen die Kosten für eine Entwicklung dazu im Verhältnis? Welche Rahmenbedingungen bietet deine Institution vor Ort an? Kann man kostenlos Tablets oder ähnliche Geräte ausleihen?

Natürlich gibt es noch weitere unterschiedliche Bedürfnisse, die du adressieren kannst. Wie du hierbei konkret vorgehen kannst, erfährst du in der nächsten praktischen Aufgabe.

Telepräsenzroboter im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig