LE 2 | Besuchsmotivationen – Ansatzpunkte für digitale Vermittlungsformate

Weil Menschen mit ihren Bedürfnissen immer der Mittel- und Ausgangspunkt für (digitale) Kulturangebote sein sollten, empfiehlt es sich, für die Institutionen zunächst eine aussagekräftige (Nicht-)Besucher:innenforschung durchzuführen. Wie du mehr über dein Publikum herausfinden kannst, erfährst du im Themenschwerpunkt Audience Development.

Um die weitere Vorgehensweise mit einem stellvertretenden Beispiel zu durchlaufen, kannst du genauso auch erst einmal hier weiterarbeiten.

Wie lassen sich also aufgrund einer interessensbasierten Kund:innensegmentierung wirksame Angebote für deine Institution umsetzen?

Wie können wir…?

Wenn du nutzer:innenorientiert arbeiten möchtest, heißt es, zunächst alle eigenen Wünsche und mögliche Lösungsideen beiseitezulegen. So kannst du offen in eine differenzierte Betrachtung und Entwicklung hineingehen.

Drei Fragestellungen leiten dich:

  • Wen adressierst du?
  • Welche Bedürfnisse adressierst du? Oder: Welches User:innenbedürfnis ist noch ungelöst?
  • Welcher Mehrwert entsteht durch das Angebot für Nutzer:innen aus der Zielgruppe?

Diese Fragen leiten auch die Methode How might we…? ein. Während hier im weiteren Verlauf relevante Fragen für die gezielte Ideenentwicklung erarbeitet würden, nutzt du diesen Auftakt, um dann mit einem anderen Tool, dem Value Proposition Canvas, weiterzuarbeiten. Es legt den Fokus zunächst stärker auf das Verhältnis zwischen Nutzer:innenbedarfen und potenziellen Wirkungen der Angebote.

Das Value Proposition Canvas ist ein Werkzeug, das dabei helfen kann, ein Produkt oder eine Dienstleistung so zu positionieren, dass sie den Werten und Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen – andere Faktoren wie Alter etc. werden nicht einbezogen. Das Rahmenwerk wurde ursprünglich von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur entwickelt, um sicherzustellen, dass Angebote und Bedarfe zusammenpassen (vgl. Osterwalder; Pigneur; Bernarda & Smith, 2015). 

Für das Value Proposition Canvas, das du bei KuLO nutzen kannst, wurden die englischen Begriffe des Originals übersetzt und angepasst, um sie stärker auf den Kulturbereich zu übertragen und verständlicher zu machen. Ebenso wurde der Aufbau des Canvas überarbeitet, um die Lesefreundlichkeit zu erhöhen.

Was ist das Besondere am Value Proposition Canvas?

Pro Canvas wird immer nur eine Ziel- oder Dialoggruppe in den Mittelpunkt gestellt. Hier bietet es sich an, Personas als konkrete Stellvertretende einer Zielgruppe einzusetzen. Dann werden die typischen (inneren) Aufträge dieser Persona in bestimmten Situationen betrachtet, also die funktionale, soziale oder emotionale Aufgabe oder das Problem, das die Nutzer:innen lösen wollen, z.B.: „Suche eine kulturelle Veranstaltung für das nächste Wochenende mit der Familie aus“. Dabei wird berücksichtigt, dass die Person im Kontext spezifischer, persönlicher Rahmenbedingungen handelt.

Das Modell betrachtet neben der Aufgabe an sich auch die damit verbundenen Herausforderungen sowie den Nutzen einer Situation – vor, während und nach dem Besuch. Typische Probleme und wichtige Bestandteile des Entscheidungsprozesses sind beispielsweise die zusätzlichen Kosten für den ÖPNV, die unterschiedlichen Aufmerksamkeitsspannen und Erwartungen der einzelnen Familienmitglieder während des Aufenthalts, geringe Sicht auf die Bühne bei den kostengünstigen Tickets, die Rückreisemöglichkeiten usw.

Der (im)materielle Nutzen und die Gefühlswelt der Besucher:innen werden ebenfalls berücksichtigt: z.B. zielgruppenspezifische Angebote oder Preisvorteile, freundliche Beratung, Spaß etc.

Um Mehrwertangebote und passgenaue Dienstleistungen zu gestalten, gilt es, die spezifischen Herausforderungen zu ermitteln und zu minimieren, indem zielgerichtete Problemlösungen oder Faktoren der Nutzenerzeugung generiert werden: beispielsweise „Aufenthalt mit Erlebnis“ oder „Familienkarte mit integriertem Nahverkehrsticket“ (vgl. Knapp 2022; Küffmann, Woiczech, Höing & Rahimi, 2019). 


Tipp

Nimm die Abkürzung

Eine eigene fundierte (Nicht-)Nutzer:innen-Befragung durchzuführen und entsprechend abgeleitete Personas zu entwickeln, ist sehr zeitaufwendig und übersteigt den Rahmen dieses Themenschwerpunkts.

Wenn du dich dennoch mit der Entwicklung einer Persona befassen möchtest, findest du dazu eine Anleitung im Themenschwerpunkt Audience Development.

Um das folgende Tool auszuprobieren, kannst du erfreulicherweise zunächst mit den Kategorien und Besuchsmotivationstypen nach John H. Falk weiterarbeiten (vgl. Simon & kultur.digital Bayern, 2020). Sie stützen sich auf wissenschaftlich Erkenntnisse: nämlich die Bedürfnisse und Besuchsmotivationen von Kulturnutzer:innen.

Auch wenn diese Typen sicherlich noch weiter ausdifferenziert werden können, eignen sie sich als Modell, um das Value Proposition Canvas anzuwenden und daraus weitere Schlüsse für die eigene konzeptionelle und praktische Arbeit zu ziehen.

Da es sich bei den gewählten Kategorien um Zielgruppen handelt, die ein grundsätzliches Interesse an Kulturangeboten mitbringen, eignen sie sich vor allem für die Entwicklung von Formaten, die bisherige Gelegenheitsbesuchende ansprechen.


Handlungsaufforderung

Fülle das Canvas aus

Wenn es möglich ist, bitte eine:n Kolleg:in oder deinen Critical Friend, das Canvas mit dir gemeinsam zu erarbeiten. Zusammen macht es mehr Spaß und zwei Perspektiven ermöglichen einen differenzierteren Blick auf die Fragen.

Plant mindestens 45 Minuten für die Bearbeitung ein.

» Hier kannst du den Arbeitsbogen herunterladen.

Er befindet sich außerdem im Download-Bereich.

Wie funktioniert das Canvas?

Du kannst die Vorlage analog oder digital ausfüllen; wenn du mit einem Online-Whiteboard arbeitest, kannst du auch einen Screenshot der Vorlage machen und es in dein Board integrieren. Nutze pro Aspekt immer ein (digitales) Post-it.

Um das Rahmenwerk für die Angebotsentwicklung deiner Institution zu nutzen, führe die folgenden Arbeitsschritte aus.

  • Schritt 1: Such dir exemplarisch eine definierte Zielgruppe und Persona aus den Besuchsmotivationstypen nach John H. Falk aus. Versetze dich in die Rolle hinein und bestimme mögliche Vorhaben/Aufträge in Form von konkreten Aufgaben. Ermittle dann diesbezüglich spezifische Herausforderungen/Hindernisse und Nutzer:innenwünsche, ohne bereits Lösungsansätze einzubringen.

  • Schritt 2: Ordne die Aspekte aller Bereiche nach ihrer Wichtigkeit für die Persona.

  • Schritt 3: Beantworte für die Angebotsentwicklung folgende Fragen:
    • Wie genau adressiert deine Institution die Herausforderungen der Persona?
    • Wie erfüllt sie deren Wünsche?
    • Welche digitalen/hybriden Services bietet deine Institution bereits an, um auf die spezifischen Nutzer:innenbedarfe einzugehen?
    • Wie kannst du möglichst viele der herausgearbeiteten Aspekte gleichzeitig durch ein neues Angebot gezielt ansprechen?

  • Schritt 4: Abschließend erfolgt der Abgleich, ob alle Faktoren in ihrer Priorisierung berücksichtigt und eingeplant wurden, um bestmögliche Angebote für die Bedarfe der Persona zu gestalten.

So kann nun auch ein (Mehr)wertversprechen formuliert werden.


Tipp

Vom Test zur Realität

Du kannst das Value Proposition Canvas auch als Abgleich für bestehende digital-analoge Angebote deiner Institution nutzen und sehen, welche Aspekte ggf. noch nicht in deinen bestehenden Programmen mitgedacht wurden. Noch besser eignet sich das Verfahren, um neue Formate zu entwickeln und dabei die Nutzer:innenbedarfe von Anfang an ins Zentrum der Angebotsentwicklung zu stellen.

Deine Institution richtet ihre Angebote vermutlich nicht nur an eine Zielgruppe. Um unterschiedliche Nutzer:innen anzusprechen, muss folglich pro Segment oder Persona ein eigenes Canvas angelegt werden.

Hier solltest du dann möglichst auf Daten aus der Publikumsforschung zur eigenen Institution zurückgreifen, um eine optimale Passung zu erzielen. Wenn absolut keinerlei Ressourcen zur Verfügung stehen, um eine empirische Erhebung durchzuführen, kann stellvertretend mit dem Kombi-Modell Value Proposition Canvas und den Besuchsmotivationstypen nach Falk gearbeitet werden. Eine gewisse Ungenauigkeit und das Risiko durch Annahmen am eigentlichen Bedarf der (potenziellen) Besucher:innen vorbeizuarbeiten, bleibt dann jedoch bestehen.

Abschließend sollte auf jeden Fall die jeweilige Zielgruppe das (neu entwickelte) Angebot auf die eigenen Bedarfe hin prüfen und evaluieren.


Zusammenfassend lässt sich sagen:

Mehr über die Bedürfnisse der digital-analogen Nutzer:innen zu erfahren, steht der Angebotsentwicklung idealerweise voran, d.h. zuerst die Person, dann das Produkt.

Und: Qualität zuerst in den Funktionen (Was soll im Sinne der Nutzer:innenbedarfe erreicht werden?), dann in den Technologien (Womit kann das umgesetzt werden?).

Einer der Vorteile digitaler Formate ist, dass sie vergleichsweise einfach mit Partizipation zu verbinden sind. Der Mehrwert von (digitaler) Partizipation und Interaktion liegt darin, dass individuelle Perspektiven eingebracht werden können und Menschen sich somit von deiner Einrichtung ggf. stärker wahr- und ernst genommen fühlen.

Ein weiterer Mehrwert von (digitaler) Kollaboration und Co-Creation liegt in der folgenden Entwicklung: Besucher:innen werden zu User:innen und/oder Gestalter:innen. Als Teil einer Community lassen sich Nutzer:innen längerfristig an die Institutionen binden.